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Angsstörungen – ein Erklärungsmodell

Generell darf zum Begriff der Angststörung folgendes festgestellt werden: Jeder Schmerzreiz, der von der Peripherie zum Cortex (Gehirnrinde) geleitet wird, durchläuft verschiedene Stationen auf Rückenmarksebene, schließlich auch Stationen des Hirnstamms, wo die Information über die Formatio reticularis verläuft. Die Formatio reticularis steuert durch ein kompliziertes Netzwerk von Nervensträngen die Wachheit und bestimmt damit den Grad der Bewusstseinshelligkeit. Das gesamte Netzwerk, dass von der Formatio reticularis im Hirnstamm aus bei plötzlicher Gefahr oder bei Schmerzdurchflutung sofort das ganze Gehirn aktiviert, heißt aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem (ARAS). Eine Erregung der Formatio reticularis bewirkt eine arousal reaction (Alarmreaktion mit gesteigerter Wachheit, Angst, Blutdruckanstieg, Schwitzen, Erhöhung der Muskelspannung usw.). Neben dem ARAS steuern ein noradrenerges und ein dopaminerges aufsteigendes System die Vigilanz (Wachsamkeit, Aufmerksamkeit). In der Brücke zum Stammhirn befindet sich ein Großteil der Neurone des Gehirns, die Noradrenalin synthetisieren. Von diesem System geht eine erregend-aktivierende Wirkung auf das ganze Gehirn aus, insbesondere auf das Limbische System (Amygdala). Die Amygdala-Kerne sind von zentraler Bedeutung bei der Entstehung von Furcht und Angst. Die Forschungen der letzten 10 Jahre habe zu der Erkenntnis geführt, dass nicht alle sensorischen Informationen vom Thalamus zum Neokortex weitergeleitet werden, sondern nur der Großteil, während einer kleiner, oft überlebenswichtiger Teil der sensorischen Informationen einen kürzeren Weg bis zur Reaktion des Organismus geht. Der Neuropsychologe LeDeux konnte nachweisen, dass ein kleiner Teil der sensorischen Signale vom Auge oder Ohr nach der Aufnahme im Thalamus über eine einzige Synapse direkt zum Mandelkern geht, von wo aus der Körper alarmiert wird, ohne dass der Neokortex eingeschaltet wird. Dies bedeutet, dass der Mandelkern schon auf Gefahrenreize oder Schmerzreize reagiert, bevor eine bewusste Verarbeitung über die Großhirnrinde erfolgt ist und der Neokortex überhaupt weiß, was los ist.

Für Betroffene mit chronischer Angststörung führt die chronifizierte Schmerzdurchflutung der Amygdala zu Fehlfunktionen und kann damit zu Gedächtnisstörungen, zu Unfähigkeit der emotionalen Einschätzung von Situationen, Depression, Narkolepsie sowie posttraumatische Belastungsstörung und Phobie führen. Die Amygdala verknüpft Ereignisse mit Emotionen und speichert diese. Mit der Zeit sinkt die Auslöseschwelle für die Bewertung von Reizen als gefährlich ab, es kommt zu einer Generalisierung. Physiologisch geht dies mit einer Übererregung der Amygdala einher. War ein Ereignis mit einer Gefahr, Schmerz oder Leid verbunden, können als ähnlich erachtete Situationen zum Auslöser einer starken somatischen Reaktion (etwa Panik, Übelkeit, Apathie, Ohnmacht) werden, unabhängig davon, ob sie objektiv vergleichbar sind und sogar unabhängig davon, ob eine Erinnerung an das ursprüngliche Ereignis besteht (Blair).

© 2013 Dr. med. Thomas Laser